Die J7W Shinden (dt.: prachtvoller Blitz) war zweifelsohne eines der ungewöhnlichsten Flugzeuge des Zweiten Weltkrieges und der einzige Entenflügler, der im gesamten Krieg in größerer Stückzahl geplant und bestellt wurde. Kapitän Masaoki Tsuruno hatte die Idee zur Shinden bereits 1943. Dabei dachte er von Anfang an darüber nach, das Flugzeug erst mit einem sechsblättrigen Propeller und später mit einem Strahltriebwerk auszustatten, ohnedabei zu große Änderungen an der Zelle vornehmenzu müssen. Nachdem Tsuruno die Marine von seinem Projekt überzeugen konnte, gab diese einen Erprobungsträger in Auftrag, mit dem – vorerst unmotorisiert – das gesamte Design auf Herz und Nieren geprüftwerden sollte. Die MX6Y wurde von Chigasaki Seizo K.K. komplett aus Holz gefertigt, und im Herbst 1943 begannen schon die Testflüge.
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Die Stützräder sollten eine Bodenbe-rührung der Luftschraube verhindern. Foto und Copyright: KL-Dokumentation
Die Flugeigenschaften wurden gelobt, und so machte man sich an eine motorisierte Version der MX6Y. Dafür wurde das Flugzeug mit einem nur 22 PS starken, luftgekühlten Vierzylinder Semi 11 ausgerüstet. Mit diesem Antrieb konnte der Versuchsträger noch mehr überzeugen. Die extreme Wendigkeit kam bei den Testpiloten äußerst gut an. Als die Marine überzeugt war, konnte es ihr gar nicht schnell genug gehen. Man beauftragte den Flugzeughersteller Kyushu damit, einen Abfangjäger auf Basis der MX6Y zu entwickeln. Kyushu war allerdings nicht sehrerfahren im Bereich moderner Jagdflugzeuge. Man wählte das Unternehmen schlichtdeshalb, weil alle anderen Hersteller in Japan voll ausgelastet waren. Um sicherzustellen, dass der neue Abfangjäger dennoch ein Erfolgwürde, wurde Tsuruno dem Kyushu-Designteam zur Seite gestellt.
Nach einigen Vorarbeiten lief das Projekt im Juni 1944 an. Man entwickelte einen schlanken und aerodynamisch ausgereiften, einsitzigen Abfangjäger in Ganzmetallbauweise. Da die sechsblättrige Luftschraubeeinen großen Durchmesser besaß und im Heck des Flugzeuges angebracht war, wurden ein langes Dreibeinfahrwerk und dazu nochkleinere Stabilisierungsräder in den beidenSeitenleitwerken auf den Tragflächen verbaut. Diese konnten, wie auch das Hauptfahrwerk, eingefahren werden.
Der zweite Prototyp wird auf dem Wright Field in Ohio begutachtet. Foto und Copyright: KL-Dokumentation
Als Antrieb wählte man den 2130 PS starken Mitsubishi-MK9D-Sternmotor. Dieser 18-Zylinder besaß einen Turbolader, der auch bitter nötig war, da die Hauptaufgabe derShinden das Bekämpfen der hoch fliegenden US-Bomber war. Entsprechend wurde die Bewaffnung ausgewählt. Mit vier 30-mm-Maschinenkanonen war die J7W1 eines der am stärksten bewaffneten Flugzeuge im ganzen Pazifikraum. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Erprobungsträger ordnete die Marine bereits vor dem Erstflug der J7W1 die Serienproduktion an. Rund 150 Shinden sollten monatlich die Fertigungshallen verlassen. Diese Menge wäre aber aufgrund der kritischen Lage Japans zu dieser Zeit kaum zu bewältigen gewesen.
Das extrem lange Fahrwerk war der enorm großen Luftschraube geschuldet. Foto und Copyright: KL-Dokumentation
Am 3. August 1945 erfolgte der Erstflug. Kapitän Tsuruno, der Vater der J7W, ließ es sich nicht nehmen, sich selbst ans Steuer zu setzen. Bei diesem und anderen Testflügen stellte sich schnell heraus, dass die Shinden, einmal in der Luft, gute Flugeigenschaften aufwies. Beim Start hatte der Pilot allerdings mit starken Schwingungen und Instabilität, besonders beim Fahrwerk, zu kämpfen. Noch bevor man dieser Probleme Herr werden konnte, war der Krieg zu Ende. Die Shinden konnte bis dahin mit insgesamt 45 Minuten Flugzeit aufwarten. Kurz nachdem der erste Prototyp fertiggestellt worden war, hatte Tsuruno damit begonnen, Pläne für eine strahlgetriebene J7W zu erarbeiten. Die J7W2 sollte von einem Mitsubishi Ne-130-Turbojet angetrieben werden, der rund 880 kN Schub lieferte. Ob der zweite Prototyp, der noch vor Kriegsende fertiggestellt worden war, als Testträger in Betracht kam, ist nicht bekannt.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Shinden, wäre sie zum Einsatz gekommen, ein ernstes Problem für die alliierten Bomberverbände hätte werden können. Ihre Bewaffnung mit vier 30-mm-Kanonen war geeignet, die schweren B-29 Bomber effektiv zu bekämpfen. Ihr enorme Steigleistung sowie ihre hohe Geschwindigkeit hätten sie schnell auf dieerforderliche Abfanghöhe gebracht. Nach dem Krieg entdeckten die USA den zweiten Prototyp und brachten ihn nach Ohio, wo er aber nicht mehr geflogen wurde. Die vordere Rumpfsektion kann heute im Udvar-Hazy Center in Washington besichtigt werden.
Klassiker der Luftfahrt Ausgabe 06/2017